Liebe Kolleginnen und Kollegen,
ein aktuelles Interview mit Sabine Richard, Geschäftsführerin Versorgung beim AOK-Bundesverband, mit aend.de verdeutlicht in erschreckender Deutlichkeit, welche Vorstellungen eine der mächtigsten Kasseninstitutionen von der Zukunft unserer ambulanten Versorgung hat. Was dort als “Reformvorschlag” verkauft wird, ist ein radikaler Umbau zulasten unserer freiberuflichen Praxisstrukturen – und damit ein direkter Angriff auf das Herzstück unseres Gesundheitssystems.
Nachfolgend finden Sie eine strukturierte Analyse der Aussagen von Frau Richard – mit unserer klaren Positionierung als MEDI Südwest:
1. „Transparente Spielregeln für alle“ – aber nur unter Kontrolle der Kassen
Frau Richard fordert ein verbindlich gestaltetes Primärversorgungssystem mit klarer Rollenverteilung für alle Beteiligten.
🔴 Unsere Position:
Was hier als Transparenz verkauft wird, ist in Wahrheit ein System zentralistischer Steuerung durch die Krankenkassen. Verbindlichkeit bedeutet hier: weniger Spielräume für Ärzte, mehr Macht für Kassen. Das ist das Gegenteil eines freien, verantwortungsvollen Arztberufs.
2. HzV als Auslaufmodell? – Ein fatales Signal
Die HzV habe Innovationen gebracht, solle aber nicht mehr verpflichtend für Kassen sein. Flächendeckende Modelle sollen im Kollektivvertrag verankert werden.
🔴 Unsere Position:
Die HzV ist das beste funktionierende Versorgungsmodell, das wir haben – gerade in Baden-Württemberg. Wer ihre Verpflichtung streichen will, opfert bewährte Strukturen auf dem Altar der Kassenflexibilität. Freiwilligkeit führt in der Realität zu Abbau, nicht zu Ausbau.
3. Zugang nur mit „Ersteinschätzung“ – mehr Bürokratie, weniger Vertrauen
Die AOK will eine einheitliche, verbindliche Ersteinschätzung für alle Patienten (z. B. 116117).
🔴 Unsere Position:
Dieses System ersetzt Vertrauen durch Formulare. Es geht nicht um Patientensteuerung, sondern um Zugangsbeschränkung. Wer glaubt, Versorgung könne durch Algorithmen gesteuert werden, hat nicht verstanden, was Arzt-Patienten-Beziehungen leisten.
4. IGeL in getrennten Sprechstunden – wirtschaftliche Bevormundung
Individuelle Gesundheitsleistungen sollen nur noch in speziell ausgewiesenen IGeL-Sprechstunden stattfinden.
🔴 Unsere Position:
Hier geht es nicht um Transparenz, sondern um gezielte Einschränkung ärztlicher Autonomie. IGeL-Leistungen sind ein wichtiger Bestandteil verantwortungsvoller Patientenversorgung und für viele Praxen wirtschaftlich unverzichtbar – gerade bei weiterhin unzureichender GKV-Finanzierung. Wer solche Maßnahmen fordert, will die Praxis wirtschaftlich kontrollieren – und langfristig schwächen.
5. Teamversorgung statt Arztberuf – das Ende der Freiberuflichkeit
Die AOK will keine „Primärärztestruktur“, sondern ein interprofessionelles Team-Modell mit MFAs, Pflegekräften und Physician Assistants.
🔴 Unsere Position:
Kooperation ist sinnvoll – aber nur, wenn, die ärztliche Leitungsverantwortung klar bleibt und die Delegation von Leistungen nach ärztlichen Vorgaben und Bedürfnissen erfolgt. Das AOK-Modell ersetzt den Arzt durch Strukturen, die zunehmend nicht-ärztlich gesteuert werden sollen. Die Freiberuflichkeit steht hier real zur Disposition.
6. „Ressourcen sind da – wir müssen nur besser steuern“
Frau Richard behauptet, es brauche keine zusätzlichen Mittel, nur bessere Allokation.
🔴 Unsere Position:
Diese Haltung verkennt die Realität in den Praxen. Wir arbeiten seit Jahren am Limit. Wer weiterhin Leistung verlangt, aber Leistungsträger deckelt, schafft kein nachhaltiges System, sondern fördert Burnout, Frust – und einen massiven Nachwuchsmangel.
7. Ablehnung des Teamarztmodells – weil der Hausarzt zu viel Kontrolle hätte
Die AOK lehnt das vdek-Modell eines festen Ärzteteams ab – zugunsten eines steuerbaren Praxismodells.
🔴 Unsere Position:
Das ist entlarvend: Es geht nicht um Patientenwohl, sondern um Steuerungshoheit durch die Kassen. Dass man den Hausarzt „zu mächtig“ findet, zeigt, wie sehr sich die AOK als Systemlenker versteht – nicht als Partner auf Augenhöhe.
8. Krankenkassen als Versorgungssteuerer via App
Die AOK will Versicherte aktiv über Apps und ePA lenken – auch im Selbstmanagement.
🔴 Unsere Position:
Aufklärung und Prävention sind wichtig. Aber: Patientenführung ist keine App-Funktion, sondern ärztliche Kernkompetenz. Was die AOK hier will, ist ein Versorgungsalgorithmus, der die ärztliche Rolle ersetzt – nicht ergänzt.
9. Einzelpraxis unerwünscht – Teammodell als Zukunftsbild
Der ärztliche Nachwuchs wolle Teamarbeit. Einzelpraxen seien nicht mehr zeitgemäß.
🔴 Unsere Position:
Auch junge Ärztinnen und Ärzte wollen Gestaltungsfreiheit, Patientenbindung und Verantwortung. Die Einzelpraxis ist nicht tot – sie wird schlechtgemacht. Teamarbeit ist gut – aber nicht, wenn sie den Arzt zur Nummer im System reduziert.
Fazit:
Die Aussagen von Frau Richard sind kein Beitrag zur Versorgungsverbesserung, sondern eine strategisch verkleidete Machtverschiebung: weg von freiberuflicher, verantwortlicher Medizin – hin zu einem steuerbaren, wirtschaftlich kontrollierten Versorgungssystem:
Die Kasse bestimmt den Zugang.
Die App ersetzt die ärztliche Einschätzung.
Die Praxis wird zur „Einheit“.
Die Ärztin zum Teammitglied ohne Führungsrolle.
Die Patienten zu gesteuerten Objekten im Versorgungssystem.
MEDI Südwest wird diesem Kurs entschieden entgegentreten.
Wir brauchen keine zentralistische Patientenlenkung, keine Bevormundung durch Algorithmen und keine Schwächung unserer Praxen. Wir brauchen verlässliche Verträge, unternehmerische Freiheit und eine starke ärztliche Selbstverwaltung.
Dafür kämpfen wir – gemeinsam mit Ihnen.
