Neue Apothekendienstleistungen sind ein Schlag ins Gesicht der Ärztinnen und Ärzte

Man muss sich den Coup des Deutschen Apothekerverbandes (DAV) mal auf der Zunge zergehen lassen und sich die nackten Zahlen betrachten:

Kunden mit diagnostiziertem Bluthochdruck und Verordnung eines Antihypertensivums können sich einmal alle 12 Monate in Apotheken den Blutdruck kontrollieren lassen (Mittelwertbildung aus drei Messungen). Anschließend sollen konkrete Empfehlungen für etwaige Maßnahmen gegeben werden. Bei Messwerten oberhalb definierter Grenzwerte sollen die Kunden zum Arztbesuch aufgefordert werden. Diese Leistung darf auch vom Apothekenpersonal erbracht werden, dafür können die Apotheker 11,20 Euro netto abrechnen.

Die Ärzteschaft darf ein Langzeitblutdruck nach der jüngsten, deutlichen Abwertung der GOP 03324 mit sage und schreibe 6,42 EUR abrechnen. Der Aufwand, insbesondere beim Anlegen und der Auswertung, ist dabei nicht mal im Ansatz vergleichbar. Von den teilweise exorbitanten Anschaffungskosten der entsprechenden Hardware mal ganz abgesehen.

Die alleinige Abrechnung der Blutdruckmessungen wie in der Apotheke kennt der EBM nicht, stattdessen wurden diese in Pauschalen anderer Untersuchungen versteckt. Aber auch hier lohnt sich ein Blick auf die Zahlen: Ein Belastungs-EKG (GOP 03321) sieht für sage und schreibe 22,31 EUR “wiederholte Blutdruckmessungen” vor. Alleine mit zwei Messungen wären die Apotheker schon bei 22,40 EUR, den Aufwand für die gesamte Prozedur mit Auswertung und Überwachung bekommen die Ärzte also demnach faktisch überhaupt nicht vergütet. Das was jahrelang von den Ärzten moniert wurde, ist damit schlicht bewiesen worden.

Frechheit gegenüber Ärzteschaft

Aber es geht noch weiter: Das Schiedsgericht hat in diesem ebenso skandalösen, wie für die Ärzteschaft aber auch richtungsweisenden Spruch festgelegt, dass Patienten, denen dauerhaft fünf oder mehr Arzneimittel verordnet worden sind, eine „erweiterte Medikationsberatung“ erhalten. GKV-Versicherte könnten diese Beratung einmal jährlich, „bei erheblichen Umstellungen der Medikation auch häufiger“, beanspruchen. Die Leistung wird mit 90 Euro (netto) honoriert.

Das ist ein Affront gegenüber den Ärzten, die sich für die Versorgung der Patienten über drei Monate mit einer Vielzahl an inkludierten Leistungen wie z.B. den oben genannten Blutdruckmessungen, mit einem Bruchteil abspeisen lassen und in RLP im hausärztlichen Bereich auf Fallwerte um die 65 EUR kommen. Die Erstellung eines Medikamentenplanes wird mit der GOP 01630 mit 4,39 EUR honoriert.

Es ist interessant, dass ein Schiedsgericht derart hohe Zahlen produziert. Die Gründe dafür liegen auf der Hand, es wurden offensichtlich aktuelle und realistische Zahlen den Berechnungen  zu Grunde gelegt. Das dürfte den Krankenkassen, die erneut wieder von Nullrunden für die Ärzteschaft fabulieren, überhaupt nicht gefallen. Der Faktencheck zeigt schlichtweg andere Realitäten.

Was jetzt passieren muss

Es wird daher spannend zu sehen, ob die kommenden Honorarverhandlungen der KBV mit den Kassen auch nur annähernd die derzeitige Inflationsrate und die allgemeinen Teuerungsraten bei Mieten, Verbrauchsmaterialien und vor allem den tariflichen Gehältern der MFA der letzten drei Jahre berücksichtigen. Hier wurde noch von keiner Seite auch nur ein Gedanke an eine Gegenfinanzierung verschwendet. Die Ärzte zahlen neben den Coronaboni auch die seit drei Jahren jährlich höheren Tarifgehälter Ihrer MFA aus eigener Tasche. Eine Honorierung der überragenden Leistungen des ambulanten medizinischen Sektors bei der Bekämpfung der Coronapandemie wird seitens des Bundes in keiner Weise honoriert. Die MFA werden mit Ihren absolut berechtigten Forderungen einfach ignoriert, hier fehlt schlicht die Sachkenntnis, dass sich die Pandemie zu 90% in den ambulanten Praxen und vor allem bei den Hausärzten abspielt.

In jedem Fall muss der Schiedsspruch und die darin verankerten Preise für ureigenste ärztliche Leistungen die fundierte Basis für eine grundlegende Neuverhandlung der Pauschalen sein. Diese wurden seit Jahren nicht angepasst und sind jetzt mit den aktuellen wirtschaftlichen Entwicklungen schlichtweg viel zu niedrig. Die KBV sollte gewarnt sein, den Niedergelassenen erneut lediglich kosmetische Verbesserungen als Ergebnis anzubieten. Viele Arztpraxen sind im Angesicht der derzeitigen wirtschaftlichen Lage schlichtweg nicht mehr in der Lage, betriebswirtschaftlich sinnvoll zu arbeiten. Es wird infolgedessen auch ein weiterer Abfluss aus der ambulanten Versorgung zu beobachten sein, junge Ärzte kann man mit diesen Rahmenbedingungen sicherlich nicht in die Praxen bringen.

KBV unter Druck – keine (faktische) Nullrunde

Leider ist in den politischen Gremien keinerlei Sachkenntnis über die wirtschaftliche Lage vieler Praxen vorhanden, weder in der Politik noch und das ist viel schlimmer, zumindest teilweise in der KBV. In jedem Fall lässt der Schiedsspruch und auch die damit verbundenen Ergebnisse keinen anderen Schluss zu. Nicht zuletzt deswegen ist deshalb sogar mit einer erneuten faktischen Nullrunde zu rechnen. Aber das dürfen sich die Ärztinnen und Ärzte schlichtweg nicht mehr gefallen lassen. Die KBV ist jetzt unter massiven Druck geraten, die Interessen der Ärzte endlich realistisch zu vertreten. Man hat jetzt die seit Jahren verleugneten und von den Verbänden immer wieder vorgetragenen Fakten Dank des Schiedsspruches schwarz auf weiß. Die Ärzte sind massiv unterfinanziert und das kann man jetzt auch nicht mehr leugnen.

In jedem Fall muss der Druck auf Politik, Kassen und die KBV maximal erhöht werden. Es geht um die Zukunft der ambulanten medizinischen Versorgung in Deutschland.